Imam Mustafa Cimşit über das jüdisch-muslimische Bildungswerk „Maimonides“
VON JESSICA NADINE GEBERT
Ingelheim – In der Öffentlichkeit wird von vielen Menschen immer wieder wahrgenommen, dass die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen sehr angespannt sind. Dies sei zwar in Teilen auch richtig, dennoch gebe es auch viele positive Beispiele und Hoffnungsmomente, sagt Imam Mustafa Cimşit. Solch einen Hoffnungsmoment wollte Cimşit auch kreieren, als er 2019 das Maimonides Bildungswerk gemeinsam mit seinem langjährigen jüdischen Freund Dr. Peter Waldmann gründete. „Es besteht eine lange Tradition jüdisch-muslimischer Beziehungen“ so Cimşit. An diese wolle das Bildungswerk anknüpfen. Nach jahrelanger Freundschaft und Zusammenarbeit mit Waldmann sei dieser Schritt, die „Freundschaft zu institutionalisieren“, ganz einfach gewesen. Seit nunmehr drei Jahren existiert das Bildungswerk in Ingelheim am Rhein, in der Nähe von Mainz.
Im Rückblick auf die ersten Jahre stellt Co-Gründer Mustafa Cimşit zufrieden fest, dass aufgezeigt werden konnte, dass Juden und Muslime zusammen arbeiten können. Mehr noch als das, sie können eine Institution zusammen führen – und das partnerschaftlich und auf Augenhöhe. „Die Menschen sind nicht Feinde voneinander“, so Cimşit. Meinungsverschiedenheiten könne man auch mit Partnern haben und auch bei schwierigen Themen dürfe jeder seine Meinung sagen „ohne dem anderen böse zu sein“. Schwierige Themen, welche das Bildungswerk adressiert, seien beispielsweise der Umgang mit Antisemitismus unter Muslimen oder Islamfeindlichkeit unter Juden. Zudem sei der Andere hier nicht „der Andere“, sondern vielmehr „unsere Partner und unsere Freunde“, betont Cimşit. Dies sei ebenfalls ein zentraler Erfolg des Bildungswerkes.
Erreicht wird dieser Erfolg durch verschiedene Projekte, im Rahmen welcher Vorträge, Fortbildungen, Seminare, Lesungen oder Workshops organisiert werden. Zudem veranstaltet des Bildungswerk Führungen für Schulklassen durch Synagogen und Moscheen und organisiert Fortbildungen für die Polizei, um Beamte über Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu informieren. Das Modellprojekt, mit dem die Arbeit des Bildungswerkes startete, lautet „Couragiert! Gemeinsam gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“. Das Projekt verfolgt das Ziel, den oft bestehenden Unsicherheiten im Umgang mit diesen Formen von Diskriminierung entgegenzuwirken. Durch nachhaltige Bildungsarbeit sollen dabei Fachkräfte qualifiziert werden, für die Prävention von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu sensibilisieren. Wichtig wäre hier auch, dass Musliminnen und Muslime als Referenten zu muslimischen Themen fungieren und umgekehrt Juden und Jüdinnen bei den jüdischen Themen zu Wort kommen, so Cimşit. Man dürfe „nicht im Namen der Anderen sprechen“, denn es sei die primäre Aufgabe, die jeweils eigene Religion und Kultur zu erklären. Dementsprechend bildet Mustafa Cimşit den muslimischen Part und Dr. Peter Waldmann den jüdischen Part im Kern des Bildungswerkes.
Gemeinsame Projekte für die Gesellschaft
Mit dem Projekt „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ beteiligte sich das Bildungswerk auch am bundesweiten Festjahr „2021 – Jüdisches Leben in Deutschland“. Hierbei wurden besonders die jüdisch-muslimischen Wechselbeziehungen in der deutschen und europäischen Geschichte bis heute beleuchtet. Zahlreiche Wissenschaftler und Intellektuelle wurden eingeladen, um etwa Fragen nachzugehen wie „Wie sind die Juden im Koran erklärt?“ oder „Wie ist dem Antisemitismus heutzutage am Besten zu begegnen?“. Neben der Beziehung zwischen Juden und Muslimen sei es auch ein Kernthema, was man gemeinsam für die Gesellschaft tun könne. Weitere Projekte seien bereits in der Konzeption.
Benannt ist das Bildungswerk nach dem mittelalterlichen Gelehrten Moses Maimonides, welcher in der Geschichte der jüdisch-muslimischen Beziehungen einem immer wieder begegnen würde und somit als Namensgeber quasi „prädestiniert war für uns“, so Cimşit. Maimonides selbst war jüdisch, lebte aber sein Leben lang in der muslimischen Welt. Wie kein anderer stelle er die Zusammenarbeit, den geistigen Austausch und das gegenseitige Verständnis zwischen Juden und Muslimen dar.
Für die Zukunft wünscht sich Mustafa Cimşit hauptsächlich, die Arbeit des Bildungswerkes mehr in der Öffentlichkeit sichtbar werden zu lassen. Denn was bringe gute Arbeit, wenn die Öffentlichkeit nichts davon erfährt, so Cimşit. Zudem solle die jüdisch-muslimische Tradition weiter erforscht werden, um das Friedenspotenzial dieser Beziehung zu erkunden und auszuschöpfen. Ziel wäre natürlich auch, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit weiter entgegenzuwirken und gemeinsam an dieser Arbeit zu wachsen. „Wir profitieren davon am meisten“ gibt Cimşit hier zu. Wer am nächsten am Thema dran sei würde die größten Auswirkungen an sich selbst feststellen und am meisten Vorurteile abbauen. Dies sei aber auch nötig, um die eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Entsprechend sei die Öffentlichkeit auch herzlichst dazu eingeladen, das Bildungswerk und dessen Veranstaltungen zu besuchen. „Wir strecken unsere Hand aus“, betont Mustafa Cimşit. Der Kern der Begegnung sei „eine Frage des Wollens – und wir wollen die Begegnung“.
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Frankfurter Neue Presse, 12.11.2022, Seite 9